Mein erstes Auto (1967-74)

von Harald Schmidt | 1964 erwarb ich meinen Führerschein für DM 185,-.

Die monatlichen Kosten für ein eigenes Auto waren bei einer Ausbildungsbeihilfe von DM 90,-/Monat nicht drin.

Zum 1. April 1967 lernte ich aus und wurde als Angestellter übernommen. Das Geld für ein Auto war angespart (Sponsoring von Eltern und Opa). Ich hatte lange überlegt, welches Fahrzeug ich haben wollte. Ein Käferfreund war ich nicht. Nur zwei Türen und kein richtiger Kofferraum war mir zu wenig. Und frieren konnte ich in anderen Modellen auch.

Ein Freund von mir fuhr einen Citroen 2CV Tourist, die „ENTE“. Der Wagen gefiel mir. 4 Türen, hinten der relativ geräumige Kofferraum, das Dach weit zu öffnen und ein vorn liegender, im Verbrauch sparsamer, luftgekühlter Zweizylinder-Viertakt-Boxermotor und Frontantrieb. Durch seine Lage bei Kälte den Innenraum – jedenfalls vorn – recht gut wärmend. 16 PS aus 421 cm³, Spitze 110 km/h ohne Gegenwind. Ein 4-Gang-Getriebe mit Revolverschaltung machte das Fahren angenehm. Bei sauberer Karosserie war die Farbe Weiß, bei zunehmender Verschmutzung wechselte sie ins grünliche (nicht schimmelig). Eine von innen per Hand einzustellende Leuchtweitenregulierung gehörte zum Standard.

Als Bordwerkzeug wurde dem Fahrzeug mitgegeben: 1 Bremskeil aus Holz, eine Anlasskurbel, auf deren anderem Ende der Radmutternschlüssel saß, der auch für den Wagenheber passte, ein Steckschlüssel für die Zündkerzen, ein Kreuzschlitzschraubendreher und ein „Spion“ genanntes Werkzeug, mit dem der Elektrodenabstand der Zündkerze kontrolliert und eingestellt wurde.

Dieses Werkzeug genügte, um fast alle Karosserieteile, einschließlich der Räder, ab- und anzubauen. Hier als Beispiele, Kotflügel: 2 große Muttern (SW 19), 4 oder 6 kleine Kreuzschlitzschrauben. Hintere Tür ausbauen: Oben die Schraube herausdrehen, Kappe abziehen und die Tür in ihrem Falz nach oben ziehen, Heckklappe und Motorhaube nur aus dem Falz ziehen. Es gab Wettbewerbe: Wer hat am schnellsten sein Auto „nackt“.

Mit Rechnung vom 5.6.1967 übernahm ich die werksneue „ENTE“ zum Preis von DM 3.990,- plus DM 200,- für Gebühren.

Gleich am Anfang lernte ich die Höflichkeit der Entenfahrer kennen. Man grüßte sich mit 2 Fingern der rechten Hand, die am Lenkrad verblieb. Der Ellenbogen hielt das Klappfenster (nur unterer Teil) etwas geöffnet. Ein klein wenig Kult überall.

Die Sitze bestanden aus einem Stahlrohrrahmen mit eingehängten starken Gummiringen, abgedeckt durch einen roten Sitzbezug. Vorn am unteren Holm befand sich auf jeder Seite ein Haken. Im Bodenblech gab es hintereinander 3 passende Löcher. Das war die Längenverstellung. In die wurden die Haken bei vorgeklapptem Stuhl eingeschoben, der Sitz dann auf den Boden geklappt und am hinteren Ende mit einem Schubriegel festgesetzt. Campingstühle brauchten wir nicht, die Sitze waren schnell aus- und eingebaut.

Wir, das waren meine damalige Freundin und bis heute meine Ehefrau Bärbel. Ob wir an die See, in die Lüneburger Heide oder sonst wohin fuhren, es genügte, Picknickkorb und Klapptisch einzupacken.

Wir klapperten die nähere Umgebung ab, Lüneburger Heide, Ost- und Nordsee. Urlaube führten uns u.a. in den nordhessischen Werra-Meißner- Kreis. Mich interessierte der Hohe Meißner, uns u.a. die Zonengrenze an der Werra, Städte wie Hann.-Münden, Kassel und ein Teil des Weserberglandes.

Wir wagten uns weiter nach Süden. Füssen im Allgäu war eins unserer nächsten Ziele. 2 Tage waren wir unterwegs, nicht die schnellsten, dafür aber viel von der Landschaft mitbekommend. Am Pfingstsonnabend starteten wir in Hamburg, meisterten mit unseren 16 PS die damals noch sehr steilen Kasseler Berge, ab Bad Hersfeld über Bundesstraßen, da die Rhön-Autobahn erst kurz vor der Eröffnung stand, bis kurz vor Rothenburg ob der Tauber. Am Pfingstsonntag wurde, bei herrlichem Wetter, das historische Festspiel „Der Meistertrunk“ (Erstaufführung 1881) in der Stadt aufgeführt. Wir schauten uns nur den Festzug an.

Hierzu etwas Geschichtliches aus Wikipedia: In der Weimarer Republik entwickelten sich Stadt und Wahlbezirk Rothenburg zu einer Hochburg der NSDAP, die bei den Wahlen am 5. März 1933 dort 83 Prozent der Stimmen auf sich vereinigte. Noch im selben Jahr kam es in Rothenburg zu antisemitischen Übergriffen. Im Oktober 1938, kurz vor der Reichspo-gromnacht, wurden die letzten 17 verbliebenen Juden vom NSDAP-Kreisleiter Steinacker aus der Stadt gewiesen, SA-Leute und Hitlerjungen führten die Vertreibung aus. Am 22. Oktober wurde das Inventar der Synagoge in der Herrngasse 21 geplündert und zerstört. In Rothenburg fand ein „Freudenfest“ anlässlich der „Befreiung von den Juden“ statt.

Abends erreichten wir Füssen. Nun lagen „richtige“ Berge vor uns, die wir bei unseren Ausflügen überwinden mussten. Nach Innsbruck über den Zirler Berg mit teilweise 16% Steigung ging es. Anfangs überholten uns viele andere Fahrzeuge mit erheblich mehr PS. Je höher wir kamen, desto mehr von ihnen trafen wir, mit aus dem Motorraum steigenden Dampfwolken am Rande stehend, wieder. Wir grüßten freundlich, kamen sicher in Innsbruck an und hatten ausreichend Zeit, um uns die Stadt anzusehen. Spät abends erreichten wir wieder unseren Urlaubsort.

Zurück in Hamburg, erzählte ich an meiner Stammtankstelle, wo wir waren und wieviel Sprit wir verbraucht hatten (knapp 3 l auf 100 km). Der Besitzer meinte nur: Feuerzeugbenzin bekommst du im Kiosk.

Auch der Betrieb im Winter war problemlos. Anfang 1968, frühmorgens nach einer Maskeradenfeier (ich hatte viel getrunken, aber keinen Alkohol), befreiten wir die „ENTE“ vom Schnee. Ich fuhr über Barmbek, um meine Bärbel zu sich nach Hause zu bringen, zu mir nach Horn. Starker Schneefall und Schneewehen waren kein Hindernis. 

Nach ein paar Stunden Schlaf wurde ich durch lautes Rufen und Schürfgeräusche wach. Es waren Nachbarn, die sich mit Schneeräumen abmühten und ihre Fahrzeuge ausbuddelten.

Kalt war es geworden und viele Autos sprangen nicht an. Nachdem ich meine „ENTE“ „freigelegt“ hatte und sie nicht ansprang, nahm ich die zum Auto gehörende Anlasskurbel, drehte damit den Motor ein paarmal durch, schaltete die Zündung ein, zog den Choker, drehte noch einmal die Kurbel und der Motor lief. Anschließend befestigte ich ein Stahlabschleppseil an der hinteren Öse, schleppte dank meines Frontantriebes und der 15 Zollreifen mit 125 mm Breite, ein Fahrzeug nach dem anderen von seinem Stellplatz und manchmal noch ein kleines Stück weiter, bis auch deren Motor lief.

Dann wurde ich von meiner Firma für 2 Monate nach Esslingen am Neckar entsandt. Alle 14 Tage hatte ich eine Heimfahrt. Zuerst fuhr ich mit dem Nachtzug, dann mit der „ENTE“. Zwei Kollegen nahm ich mit. Dadurch war das Fahrgeld pro Person lächerlich gering.

An einem Wochenende war Ferienanfang in Baden-Württemberg. Lange Kolonnen von Caravan-Gespannen auf der Kriechspur an den Steigungen auf der Autobahn von Frankfurt nach Bad Hersfeld. Hier konnte ich mit meinen 16 PS „rasant“ überholen.

1970 erblickte unser Sohn das Licht der Welt. Auch hier war die „ENTE“ das richtige Auto. Zuerst der Kinderwagen, dann Kinderkarre und Spielzeug und später dann ein Go-Kart. Alles passte ohne Schwierigkeit hinein. Fehmarn wurde unser Ferienziel, Urlaub auf dem Bauernhof. Gepäck für 14 Tage, alles hatte Platz in der „ENTE“.

Die 16 PS brachten uns überall hin. Kleine Reparaturen konnten schnell selbst erledigt werden – keine Elektronik, aber auch nur eine 6-Volt Anlage. Die beschriebene Werkzeugausrüstung langte zusammen mit dem Buch „Jetzt helfe ich mir selbst“.

Mit einem Freund fuhr ich seine komplette Zeltausrüstung, mit einem Kanu auf dem Dachgepäckträger, zum Campingplatz am Falkensteiner Ufer, packte alles, einschließlich der Vordersitze aus – die Rücksitze hatte ich zuhause gelassen – legte Luftmatratzen hinein, Schlafsäcke drauf und fertig war unser Nachtlager.

Aber das Rostproblem. Das Bodenblech auf der Beifahrerseite ließ irgendwann Sprühwasser durch. Ich war in der Lage, mir eine neue „ENTE“ zu bestellen. Außen leuchtendes Grün, innen gelb, grün, blau gefleckte Sitze. Lieferzeit voraussichtlich ca. 8 Wochen – 16 wurden es dann.

Der Zerfall an dem alten Fahrzeug war zunehmend zu bemerken. Das inzwischen große Loch im Bodenblech verschloss ich mit einem eingenieteten Blech, sonst hätte ich keinen Beifahrer mehr mitnehmen können. Die Bremsen gingen auf den Rest.

Der Abschied fiel uns schwer. Hatte die „ENTE“ doch in den sieben Jahren unseres Beisammenseins einen gewissen Familienstatus erlangt.

Am 31.5.1974 holte ich die neue „ENTE“ beim Händler in Bergedorf ab.

Ein paar Tage später verkaufte ich die alte „ENTE“ bei einem Kilometerstand von 118.000 für 100 DM.

Autor: Harald Schmidt