Schuh – Po – Hals – Maul (ca. 1920 bis heute)

von Claus Günther | Früher gab es ja, wenn die Erinnerung nicht trügt, viel häufiger den namentlich bekannten Streifenpolizisten. Vor solch einem Mann – in diesem Fall hieß er Rohwedder – hatten die Menschen seinerzeit großen Respekt. Das galt sogar für meinen Onkel Ewald, der ein richtiger Lausbub war; er fraß dauernd etwas aus. Seine Mutter, also meine Großmutter, drohte ihm manchmal mit dem Ruf: „Rohwedder kommt!“ Eines Tages kam Rohwedder wirklich – meine Oma hatte das arrangiert. Diesmal war „Rohwedder kommt!“ keine leere Drohung.

Ewald nahm Reißaus in der Wohnung und versteckte sich in einem Schrank, dessen Türen allerdings nicht richtig schlossen. Also zog er sie von innen heran, griff dabei jedoch mit den Fingern außen um die Tür herum und hielt sie fest. Als Rohwedder den Raum betrat, konnte er bei seinem Ausruf „Hier ist er auch nicht!“ nur mit Mühe sein Lachen unterdrücken.

Wir Kinder riefen in den dreißiger Jahren „Schuh, Po, Hals, Maul!“, und wiesen auf die betreffenden Körperteile. Gemeint war natürlich: „Schupo, halt´s Maul!“ – aber Respekt hatten wir trotzdem vor dem Schutzpolizisten oder Schutzmann, in Hamburg auch Udel genannt.

Es mag 1938 gewesen sein. Ich hatte Weihnachtsferien und übernachtete bei meiner Oma in Wilstorf. In der Nacht zum Sonnabend hatte es geschneit. Am Morgen danach, es war gerade Viertel nach acht, klingelte es Sturm an der Haustür. Meine Großmutter öffnete. Vor ihr stand ein Polizist und fragte in barschem Ton: „Warum ist hier noch nicht gefegt?“ Gemeint war der ca. 30 Meter lange Fußweg vor ihrem Häuschen, das in einer stillen Seitenstraße lag.

Folgenreiche Begegnungen mit der Polizei, der „Polente“, hatte ich 1946 und 1947, in der so genannten „schlechten Zeit“, als der Schwarzhandel blühte. Mein Vater schickte mich, ich war fünfzehn, zu einer Adresse in der Nachbarschaft. Dort holte ich Zucker ab, in seiner Aktentasche. Zucker sollte gegen Öl getauscht werden, Öl gegen Zigaretten. Auf dem Rückweg verfolgte mich ein Mann in Zivil. Ich hätte alles im Stich lassen und wegrennen können, doch Vaters gute Aktentasche war aus Juchtenleder – er hätte mir deren Verlust nie verziehen. Also musste ich mit zur Wache.

Ich wollte niemanden verraten, doch ein Polizist lockerte seinen Ledergürtel mit den Worten: „Hör mal zu, mein Junge. Wir haben hier ganz dicke Mauern. Da dringt kein Laut nach draußen!“ Ich knickte ein und alles flog auf.

Das dicke Ende kam zwei Tage später. Der Kripobeamte erschien zu Hause. „Hausdurchsuchung!“ Ich legte mich bekleidet aufs Sofa, eingemummelt in eine Decke, und markierte den Kranken. Er wünschte gute Besserung. In den Kniekehlen hatte ich zwei Kilo Rohkaffee versteckt.

Beim Kohlenklauen in jenen Tagen verfolgte mich eines Tages ein junger Polizist, dem ein schlechter Ruf vorausging, mit einem Schäferhund. Ich hatte Angst, rannte wie noch nie in meinem Leben, knallte hin und schlug mir das Knie auf, bin aber entkommen. Die Narbe aber habe ich heute noch.

In den 50er Jahren wurde ich nach dem Überqueren der Mönckebergstraße von einem Polizisten angehalten und musste zwei D-Mark bezahlen, weil ich bei Rot hinübergegangen war.

Vor zwei Jahren, bei einer Stippvisite in London, wo ja bekanntlich in Pfund statt in Euro bezahlt wird, wies mir ein Bobby, nein, eine Bobbyne, nämlich eine Polizistin, mit freundlichen Worten den Weg zur „Exchange“, zur Wechselstube.

Und im Februar dieses Jahres waren Peter Petersen und ich als Zeitzeugen von der Polizeiakademie Hamburg eingeladen, um vor rund 200 TeilnehmerInnen von unseren Erlebnissen während der NS-Zeit zu berichten.

Zum Abschluss noch ein Erlebnis mit einem Bahnbeamten aus der Zeit, als es am Hamburger Hauptbahnhof noch Sperren gab, wo man die Fahrkarte vorzeigen musste. Ich hatte eine HVV-Monatskarte, wollte in einen Vorort von Harburg und fragte, ob die Karte bis dort gültig sei. Die Antwort habe ich mir aufgeschrieben:

„An sich ist das nicht statthaft, aber Unkenntnis schützt Sie nicht. Wenn jemand kommt, dann haben Sie eben nichts gewusst.“ Ich verstand nur Bahnhof, bin aber trotzdem gefahren.

Autor: Claus Günther