Als der Polizist nicht mehr böse war (1932/33)

von Günter Lucks | Meine Eltern waren überzeugte Kommunisten. Wir Kinder, mein ein Jahr älterer Bruder und ich, wir waren noch sehr klein, quengelten oft und stritten uns häufig.

Wenn das meine Mutter nervte, sagte sie immer zu uns: „Seid endlich still, sonst kommt der böse Polizist und holt euch ab!“

Wie kam es nun zu dieser Sprachregelung bei uns? Da muss man sich in die Zeit der dreißiger Jahre zurückversetzen. Immer wieder kam es zu Straßenkämpfen zwischen den Anhängern verschiedener politischer Parteien. Meine Mutter war Mitglied im „Roten Mädchen- und Frauenbund.“ Wenn Umzüge, wie die Demonstrationen damals hießen, stattfanden, marschierten auch wir Kleinen mit und wedelten mit kleinen Papierfähnchen mit den Hammer- und Sichel-Symbolen.

Trafen wir auf gegnerische Kolonnen, schlugen die Kontrahenten aufeinander ein. Uns Kindern wurde gesagt, dass das entweder die bösen Polizisten, oder schlimmer noch „Nazis und Sozialfaschisten“ seien, die man bekämpfen müsste. Natürlich verstanden wir das nicht.

Bei den letzteren, den Sozialdemokraten, die ihre Kampfgruppen, den Reichsbanner, hatten und die staatstragend eingestellt waren, war auch der Bruder meines Vaters, unser lieber Onkel Walter. Wenn der uns besuchen kam, sagten wir Kinder: „Onkel Sozialfaschist, hast du uns was Schönes mitgebracht?“

Zurück zu den Straßenkämpfen. Wenn alle aufeinander einschlugen, gab es plötzlich Automotorengedröhn, und mit quietschenden Bremsen hielten rasant anbrausende Lastautos an, auf denen Polizisten saßen. Mit Sturmriemen unter dem Kinn und Schlagstöcken, die Gummiknüppel schwingend, sprangen sie herunter und schlugen auf alles ein, was sich ihnen entgegenstellte. Diese Autos nannten wir auch „Flitzer“. Wer nicht schnell floh, der wurde verprügelt oder festgenommen, wir sagten, „er wurde abgeholt“.

So war also für uns Kinder der Polizist ein böser Mann. Wir machten auch Hüpfspiele. Wie das genau ging weiß ich nicht mehr, aber auf dem Gehweg malten wir mit Kreide große Kreise. Da hieß es dann: „Schupo, Sipo, Kripo, Bösewicht, schlimmer aber geht es nicht!“

Bei einer weiteren Straßenschlacht im Hamburger Stadtteil St. Georg wurde mein Vater ins Bein geschossen, denn mehr und mehr wurde von Schusswaffen Gebrauch gemacht. Ein Polizist sprang hinzu, zog meinen Vater in einen Hauseingang und sagte zu den Bewohnern, dass sie einen Arzt holen sollten; er müsse seinen Dienst fortsetzen. Ein übelgesinnter Anwohner nannte dem Polizisten die Adresse meines Vaters, der sei ein übler Kommunist, meinte er. Das will ich gar nicht wissen, rief der Beamte und eilte weiter. Der Polizist merkte sich jedoch die Adresse und besuchte uns später. Mein Vater und er wurden Freunde. Immer wenn der Polizeimann zu uns zu Besuch kam, brachte er uns Kindern etwas Schönes mit.

Von dieser Zeit ab war ein Polizist für uns Kinder kein „böser Mann“ mehr.

Autor: Günter Lucks