Rodeln im Kohlenkeller (1939)

von Hansjörg Petershagen | Was ich mit meinen fünf Jahren ausgefressen hatte, vermag ich heute nicht mehr zu sagen. Jedenfalls hielt meine Mutter es für angemessen, mich eine Zeitlang in einen Kellerraum zu sperren.

Da saß oder besser gesagt stand ich also in diesem schummrigen Raum.

Rechts von der Tür war der Kessel der Zentralheizung aufgestellt. Beheizt wurde er mit Koks, der im hinteren Bereich des Raumes, abgetrennt durch eine niedrige Bretterwand, lagerte. Befüllt wurde dieser Lagerraum von außen durch ein recht kleines Fenster ganz oben in der Außenwand, durch das etwas Licht fiel.

Die Heizperiode hatte noch nicht begonnen, der Wintervorrat an Koks war aber schon angeliefert worden. Er bildete von der Trennwand bis hinauf zur unteren Kante des Fensters einen ziemlich steilen Abhang.

Eigentlich sollte ich nun wohl über meine Missetat nachdenken. Dazu hatte ich jedoch überhaupt keine Lust.

Die Zeit verging und ich langweilte mich entsetzlich. Mit nichts konnte man hier spielen. Meine Blicke wanderten von der verschlossenen Tür über die kahlen Wände den Kokshügel hinauf bis zum Fenster. Und dann kam mir blitzartig eine Idee. Ein wunderbarer Gedanke, warum war ich nicht gleich darauf gekommen? „Der Berg ruft“ heißt es bei den Alpinisten. Und dieser Hügel hier rief mich!

Also kletterte ich über die Trennwand und begann, den Abhang zu erklimmen. Dies erwies sich jedoch zunächst als gar nicht so einfach. Kaum hatte ich einen Meter geschafft, ging es auch schon wieder retour.

Ich versuchte es erneut und kroch auf allen Vieren die rutschige Anhöhe hinauf. Auf halber Höhe löste sich jedoch eine Lawine und ich schlitterte bäuchlings, eingehüllt in eine dichte schwarze Staubwolke, wieder herunter. Aufgeben kam für mich jedoch nicht infrage, und schließlich schaffte ich es bis zum oberen Rand.

Nun kam das Schönste, die Talfahrt. Mit angezogenen Beinen rutschte ich auf dem Hosenboden den etwas buckeligen Hügel herunter, eingehüllt von einer dunklen Staubwolke. Hurra! Das war ja wie Schlittenfahren, nur dass der Schnee hier nicht weiß sondern schwarz war.

Mit der Zeit entwickelte ich eine echte Routine und der Anstieg fiel mir von Mal zu Mal leichter. Und mit jedem Kletterversuch wurde mein Aussehen dunkler, bis ich schließlich von Kopf bis Fuß ein einheitliches Schwarz aufwies.

Irgendwann kam meine Mutter, um den Missetäter aus seinem Gefängnis zu befreien. An ihre Reaktion beim Anblick eines schwarzen Monsters kann ich mich nicht mehr besinnen. Es blieb ihr aber nichts übrig, als den kleinen Sottje in die Badewanne und anschließend dessen Zeug in die Waschbalje, eine Waschmaschine gab es zu dieser Zeit noch nicht, zu kriegen.

Ob sie dabei wohl darüber nachgedacht hat, wer nun eigentlich bestraft worden war, der kleine Missetäter oder sie selbst?

Autor: Hansjörg Petershagen