Kaufen, um zu essen (50er Jahre)

von Carsten Stern | Schokolade? Bonbons? Mars? Duplo? Das nimmt man heute oft mal so mit aus dem Supermarkt. Wenigstens gilt das für die allermeisten Deutschen heutzutage. Das Geld reicht dafür.

Es gibt allerdings heute mehr und mehr Menschen, die mit dem Pfennig, pardon, dem Cent, rechnen müssen und sich diese kleinen Annehmlichkeiten nicht mehr leisten können. Und auch hier zeigt sich der Trend von heute, dem ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts: Die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich: Die Billigschokolade von Milka oder Sarotti für unter einen Euro (vor acht Jahren zu DM-Zeiten: Unter einer DM!), die teure Schokolade von Lindt, Rausch oder Schweizer oder belgischen Marken für ab zwei – drei Euro. Für eine Tafel. Beide Sorten gibt’s heute in jedem Supermarkt, bei Budni, bei Karstadt. Viele Kleinigkeiten sind nach der Euro-Einführung Luxus geworden. Deshalb: Schokolade mit hohem Kakaoanteil wird ein Luxusartikel. Kaufen zum Genießen.

Schokolade war ein Luxusartikel, als ich Kind war. In der ersten Hälfte der Fünfziger. Kaufen war zum Essen nötig. Genießen tat man eigentlich frühestens ab Ende der fünfziger Jahre, als man mehr Geld zur Verfügung hatte und die dringenden Bedürfnisse gestillt waren, die Möbel alle in der Wohnung standen, das Kochgeschirr vollzählig, die ersten technischen Apparaturen die Küche eroberten und bezahlbar waren. Und Schokolade, eine Tafel, war ein Geburtstagsgeschenk oder ein Geschenk für Weihnachten (allerdings nicht das einzige), es war nichts für mal „zwischendurch“. Und der Preis lag nach meiner Erinnerung immer bei 1,20 bis 1,40 DM, auch bei meiner frühesten Erinnerung in den späten fünfziger Jahren, vielleicht sogar bei über zwei DM. Gemessen am Einkommen war das viel Geld.

Lebensmittel kaufte man, um die Bedürfnisse zu befriedigen. Also kurz gesagt: Man kaufte, weil man essen musste. Mehr nicht. Bei uns zu Hause gab es eine Ausnahme: Mein Vater kam sonnabends immer schon (oder auch: erst) nachmittags nach Hause, so lange ich denken kann, oft auch erst um achtzehn Uhr. Er brachte Kekse mit, ein wenig Gebäck, 100 bis 200 Gramm. Das aßen wir dann zum „Kaffee“, ein kleiner Luxus.

Ab und zu musste ich Malzbier holen, zwei Flaschen. Die waren nötig für die Brotsuppe, die meine Mutter hin und wieder kochte. In die Brotsuppe gingen die alten trockenen Brotreste, Knüste und anderes rein, die über die Wochen aufbewahrt wurden. Die wurden dann weich gekocht und zerstampft, und das gab dann eine sämige Suppe. Dazu kam das Malzbier, getrocknete Rosinen, und dann ein Schlag Eiweiß-Sahne (die echte Sahne war zu teuer) obenauf als Verzierung. Und Zucker kam wohl auch noch hinein. Wenn man jeden Löffel mit etwas Sahne aß und auch Rosinen mit auf dem Löffel hatte, schmeckte die Brotsuppe eigentlich ganz gut.

Mir fällt auf, dass ich nicht von Fleisch rede. Ja, ich weiß gar nicht, wo ein Schlachter war oder ob es in unserer Gegend überhaupt einen gab. Ich weiß nur, dass Fleisch teuer war. Fleisch war etwas Besonderes. Weihnachten, Ostern und zum Geburtstag gab es Fleisch. In den späten Fünfzigern gab es auch sonntags Fleisch – eben den Sonntagsbraten. Aber Schlachter waren wohl selten – und da es Supermärkte und Kühltheken noch nicht gab, konnte man bei seinem Kaufmann Fleisch kaum kaufen.

Butter wurde aus einem hölzernen Fass mit einem Holzbrettchen geholt, auf Pergamentpapier geklatscht, mit zwei schmaleren angefeuchteten flachen Holzbrettchen mit Griff – Butterlöffel eben – von oben, von beiden Seiten, wieder von oben, wieder von beiden Seiten geklatscht – so lange, bis die Butter mit zwei-, drei-, viermal Klatschen die richtige Form hatte: Ein flacher Quader. Die Form, in der man heute Butter auch meist kauft.

Nur Sanella, die gab es schon damals im Würfel in der goldfarbenen Packung. Mir ist für Sanella ein Preis von 50 Pfennig im Gedächtnis (das halbe Pfund), und für die Butter denke ich an zwei DM, ebenfalls das halbe Pfund. Und bei Sanella gab es dann die Sanella-Bilder. Aber das ist ein anderes Kapitel.

Autor: Carsten Stern

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