Nächte im Keller (ca. 1939-45)

von Lisa Schomburg | Ich bin in einem bäuerlichen Haus aufgewachsen, das meiner Urgroßtante gehörte. Im angrenzenden Stall lebten zwei Schweine, viele Hühner und vier Gänse.

Weil es weit und breit keine Geschäfte gab, hatten wir – meine Mutter und meine Urgroßtante, die ich Oma nannte – einen Laden für Tabakwaren und Pfeifen sowie für Konfitüren, Schokolade, Bonbons und Kaffeebohnen eröffnet. Die Kaffeebohnen wurden in einer Kaffeemühle, die an der Wand hing, zu Kaffeepulver gemahlen.

Ich habe mich dort sehr wohl gefühlt, war einziges Kind meiner Eltern und durfte, als ich ein bisschen älter war, auch mal Bonbons oder Salmis verkaufen, die auf einer blankgeputzten Waage mit zwei Schalen gewogen wurden.

Wenn es nachts Alarm gab, heulten die Sirenen auf der Schule und auf dem Bahnhofsgebäude laut mit einem Auf und Ab. Dann gingen wir in unseren Kohlenkeller, der keine Fenster hatte und in dem es immer dunkel und kalt war.

Meine Eltern hatten auf den Steinfußboden zwischen den Briketts und den vielen Kohlen Matratzen gelegt, so dass wir uns in unseren Schlafanzügen dort hinlegen und mit Wolldecken zudecken konnten. Der Keller schützte uns vor Granat- und Bombensplittern, aber nicht vor den von den Tommys abgeworfenen Bomben.

Meistens überflogen die Tommys – wie wir die englischen Flugzeuge nannten – unser Gebiet mit dem Ziel Berlin. Das laute Gebrumme der vielen feindlichen Flugzeuge war in unserem Keller deutlich zu hören. Wir harrten dort in vielen Nächten oft etliche Stunden aus, bis schließlich Entwarnung von den Sirenen geheult wurde – ein langgezogener, durchdringender Heulton. Dann konnten wir endlich unseren Keller verlassen und wieder nach oben in die Schlafzimmer gehen.

Während dieser Stunden im Keller hatte ich meine Puppe Annemie, die lange Zöpfe aus echtem Haar besaß, fest im Arm. Ich kuschelte mit ihr, dadurch hatte ich nicht so große Angst vor den Bomben.

Ich war damals Gymnasialschülerin und der Weg zur Schule war lang, ca. 3 km. Wir Kinder brauchten nach einem nächtlichen Alarm erst zur dritten Stunde in die Schule kommen, denn wir hatten durch diese nächtlichen Unterbrechungen nicht genug Schlaf bekommen.

Unser Haus lag nicht weit vom Güterbahnhof entfernt, diesen hatten die Tommys als Ziel genommen. An einem Vormittag, als wir ausnahmsweise während eines Alarms nicht in unserem Keller waren, sondern im Keller unserer Nachbarn, fielen Bomben auf einen Teil unseres Hauses und auch auf unseren Stall mit den Schweinen und Hühnern und explodierten. Was für ein Glück, das wir an diesem Tag nicht in unserem Keller waren, wir hätten es nicht überlebt.

Als wir nach dem Sirenenentwarnungston auf die Straße gingen, sahen wir den großen Trümmerhaufen.

Einige Hühner lebten noch, sie lagen aber auf der Straße und krächzten und konnten sich nicht mehr bewegen. Von den Schweinen und Gänsen haben wir zunächst einmal rein gar nichts mehr gefunden. Sie sind wohl total auseinandergerissen worden. Später fand ich ein paar Federn von unseren Gänsen und habe natürlich laut geweint.

Unser Haus war unbewohnbar geworden, es standen nur noch ein paar Innenwände, aber auch nur halb. Es war sehr schrecklich! Nachbarn haben für uns Platz gemacht, damit wir nachts eine Schlafmöglichkeit hatten.

Es war der 25. November 1944 und es war kalt. Ich war 14 Jahre alt und hatte vor einem halben Jahr eine kleine Schwester bekommen. Ich kümmerte mich um unser Baby, während meine Eltern die großen Mauerbrocken beiseiteschafften, um noch einige Habseligkeiten auszugraben.

Etwa 100 Meter von unserem total zerstörten Haus hatten wir noch ein Grundstück für Kartoffeln und Gemüse. Dort gruben meine Eltern eine große Kuhle aus. Sie wollten ein Behelfsheim bauen, denn wir konnten nicht ewig auf unsere Nachbarhäuser verteilt leben. Wir mussten uns selbst helfen.

Es war eine unmögliche Situation. Ich ging nicht mehr zur Schule denn ich musste mich um unser Baby kümmern, während meine Eltern auf dem Gartengrundstück sich auf das Behelfsheim einstellten.

Mit den Eiern von unseren Hühnern und den geernteten Kartoffeln von unserem Gemüsegarten haben meine Eltern Zement eingetauscht, den sie für das geplante Behelfsheim brauchten.

Im Stall wurde heimlich ein Schwein neben den Hühnern gehalten, mit dem Plan, es später zu schlachten, um mit dem Fleisch und der Wurst Baumaterialien für das Behelfsheim einzutauschen. Geld war völlig unnütz.

In dieser Zeit, wo meine Eltern eine Grube für den Keller ausgruben, hörten wir über ein Radio, dass Hitler tot ist. Oh, wie waren wir erleichtert. Und bald darauf war der Krieg zu Ende!

Doch es ging uns allen noch lange nicht gut.

Autorin: Lisa Schomburg