Und tschüs (1974 bis heute)

von Claus Günther | Man kann tschüs sagen (mit einem s), oder auch tschüss (mit zwei), sagt der Duden, je nachdem, ob es lang oder kurz ausgesprochen wird. In Hamburg sagt man tschühüs, aber das steht nicht im Duden. Dass es einst adieu hieß – übersetzt etwa: Gott befohlen, wer weiß das heute noch? Manche sagen auch tschö oder tschüssing oder gar tschüssikowski.

Tschüs bedeutet Abschied.

Abschiede begleiten uns lebenslang. Wir verabschieden uns von Jahreszeiten oder von der Kindheit, von Zähnen oder Haaren, von Fähigkeiten, Eigenschaften, Leidenschaften, Süchten.

Als ich mit dem Rauchen aufhörte, 1973, war ich 42, also nicht halb so alt wie heute. „Ihre Lunge“, sagte der Arzt damals, „wird sich weitgehend regenerieren, aber das dauert … zehn Jahre etwa.“ Er sollte Recht behalten.

Wenn wir uns von Menschen verabschieden, geschieht das oft oberflächlich. „Bis dann!“ oder „Man sieht sich!“ Sicher ist das nicht. Manch lieber Mensch geht plötzlich von uns, völlig unerwartet.

1974, am 23. Oktober, wurde meine Mutter 77. Wir besuchten sie drei Tage später, feierten ein wenig, verabschiedeten uns. Sechs Tage darauf, am 1. November, wurde sie tödlich überfahren, als sie eine Straße überqueren wollte.

Der Verursacher – oder war es eine Frau? – beging Fahrerflucht und wurde nie gefasst. Ich habe Jahrzehnte gebraucht, um mich im Gedenken an dies Ereignis von ohnmächtiger Wut zu befreien.

Was bleibt, sind Fotos. Bilder der Erinnerung. Eindrücke. Ausdrücke. Sprüche. „Als ich noch junges Mädchen war“, hast du oft gesagt, Mutti, und mir dann etwas aus deinem Leben erzählt …

Und tschüs.

Autor: Claus Günther