„Hier kannst du schön hausen!“ (1946/47)

von Wilhelm Simonsohn | Schönhausen ist nicht nur die Geburtsstätte Bismarcks. Vorher hatte bereits der „alte Fritz“ (König Friedrich) seiner Angetrauten als Wohnsitz das nahe Berlin gelegene Schloss „Schönhausen“ zugewiesen mit der angeblichen Kommentierung: „Hier kannst Du schön hausen!“

Als ich meine Herzensdame als Frühheimkehrer aus der Gefangenschaft im November 1945 (!) geheiratet hatte, konnte auch ich ihr ein „Schönhausen“ bieten, wobei der Akzent allerdings eindeutig auf „hausen“ lag.

Der Hintergrund war die Wohnung meiner Mutter in der Großen Bergstraße in Altona, die ihr als „Ausgebombte“ (Operation Gomorrha‘) zugewiesen worden war. Es handelte sich um eine kleine 3-Zimmer-Wohnung im obersten Geschoss eines Mietshauses aus der Gründerzeit (bereits eigenes WC, aber ohne Bad). Die drei Zimmer waren vorgesehen: 1 Zimmer für meine Mutter, 1 Zimmer für einen Untermieter und ein drittes Zimmer für den so genannten „Frontsoldaten“ – das war ich.

Für diesen Personenkreis musste laut eines „Führerbefehls“ ein Zimmer vorgehalten werden. Dieser Befehl war eines der seltenen positiven Erbstücke der nationalsozialistischen Ära.

Aber in welchem Zustand befand sich diese Wohnung noch im Spätherbst 1945?

Eine Sprengbombe war im März 1945 in der Nähe niedergegangen und hatte u.a. auch dieses Gebäude durch die Druckwelle der Explosion kräftig durchgerüttelt.

So fehlten die Fensterscheiben und ein Teil der Dachziegel, und auch das Dachgebälk war beschädigt.

Das  Altonaer „Schönhausen“, 2018

Und nun kommen die Freimaurer ins Spiel, die ja bekanntlich im frühen Mittelalter unter dem Begriff „Bauhütten“ entstanden – ein Gemisch aus naturwissenschaftlich interessierten Mönchen und externen Gewerken wie Maurer und Steinmetze.

Ihnen haben wir die wunderbaren Kathedralen mit ihren Kreuzgängen zu verdanken. Leider gab es auch die unrühmlichen Kreuzzüge.

Mein Opa mütterlicherseits (Kunststeinfabrikant) war ein solcher Freimaurer (s. das Logenhaus am Dammtor). An diese Beziehungen erinnerte sich meine Mutter, die in gekonnter Manier den regnerischen Tagen in Hamburg in der Weise trotzte, dass sie mit Hilfe ihres Untermieters etwa ein Dutzend Marmeladeneimer so positionierte, dass der größte Teil des durchsickernden Regenwassers auf diese Weise aufgefangen werden konnte.

Die alten Freimaurer-Verbindungen wurden nunmehr in der Weise aktiviert, dass einer der noch lebenden Angehörigen – ein Bauunternehmer – in freimaurerisch kameradschaftlicher Weise die Schäden begutachtete, den Materialbedarf feststellte, zwei seiner Handwerker einsetzte und eine Fuhre Bausand auf den Bürgersteig platzierte.

Es war mir überlassen, bei der Verwaltung die entsprechenden Bedarfsbescheinigungen für Dachziegel, Holz und Eisen zu beschaffen. Den weiteren Bedarf an Zement und Gips zu decken wurde mir ebenfalls zugemutet. So wurde ich zum Kleinkriminellen, der bei Nacht und Nebel von einer bereits eingerichteten Großbaustelle vier Sack Zement „organi-sierte“.

„Halblegal“ gelang es uns, über einen Onkel meiner Frau (Gipsberg-werksdirektor im Harz) zwei Sack Gips an Land zu ziehen, die als „Künstler-Gips“ deklariert zum Altonaer Bahnhof verfrachtet wurden. Auf diese Weise konnte die Wohnung einigermaßen saniert werden.

Das Zimmer, das meine Frau und ich bewohnten, wurde mit einem  „eisernen Ofen“ ausgestattet, der mit Kohlen beschickt wurde. Er strahlte sofort eine enorme Hitze aus (vorne Brandblasen, hinten Frostbeulen).

Zur Erstausstattung unseres unmöblierten Zimmers gehörte ein einfacher Holztisch mit Schublade, den wir mit seiner Tischplatte nach unten aufgestellt hatten. Die nach oben ragenden vier Beine wurden mit aufgefundenen Brettern zugenagelt, und oben drauf kam eine abnehmbare Holzplatte. So entstand aus diesem Tisch eine Kartoffelkiste, aus der wir mittels der unten liegenden Schublade Kartoffeln – soweit vorhanden – in kleinen Positionen entnehmen konnten.

Die provisorische Schlafstätte bestand aus zwei einfachen, kurzbeinigen Bettgestellen, die – übereinandergestellt und mit entsprechenden Wolldecken drapiert – tagsüber als eine Art Couch dienten. Des Nachts wurden die Bettgestelle – entsprechend nebeneinandergestellt – zu einem Doppelbett in leicht unterschiedlicher Höhe umfunktioniert.

Leider habe ich versäumt, die Technik der Kartoffelkiste sowie den Vorläufer einer Doppelbett-Couch zum Patent anzumelden.

So hausten wir also im Winter 45/46 unter den gegebenen Umständen recht schön.

Autor: Wilhelm Simonsohn