„Ich wär‘ doch gern Soldat (1939)

von Günter Lucks | Im April 1939 verkündete der Reichssender Hamburg die Ernennung des deutschen Freiherr von Neurath zum Reichsprotektor von Böhmen und Mähren, auf der Prager Burg.

Seit 1938 war die Tschechoslowakei zerschlagen worden. Der tschechische Teil wurde deutsches Protektorat und die Slowakei ein selbständiger Staat. Danach verkündete Reichskanzler Adolf Hitler, nun keine weiteren Gebietsangliederungen mehr zu fordern. Allerdings müsse man über einen Korridor in Nordpolen reden, damit Ostpreußen zollfrei mit dem Reich verbunden würde. Trotz Vermittlung durch den britischen Gesandten Henderson lehnte der polnische Außenminister Oberst Beck dies vehement ab!

Das bedeutet, dass es Krieg gibt, sagte mein Vater.

Am 23. August 1939 unterbrach der Großdeutsche Rundfunk sein Abendprogramm für eine Sondermeldung, allerdings ohne die später üblichen Fanfarenklänge.

Es wurde gemeldet, dass das bolschewistische Russland dem Deutschen Reich einen Nichtangriffspakt angeboten habe. Stalin, der sowjetische Diktator befürchtete, dass die Westmächte die Sowjetunion in einen Krieg verwickeln wolle. Die Sowjetunion, so erklärte er auf einem Parteitag 1938, will nicht für die Westmächte bei einem Krieg die „Kastanien aus dem Feuer holen.“
Außerdem hoffte Stalin, die ehemals 1920 verlorenen russischen Gebiete bei einem deutschen Angriff auf Polen zurück zu bekommen. Eine weitere Meldung wurde über Funk und Presse verbreitet. Es hieß, dass Lebensmittel ab dem 28. August nur noch auf Karten ausgegeben würden. Die Lebensmittelkarten bekäme man ab sofort bei den jeweiligen Ortsämtern.

Der 28. August war ein Montag und am Samstag vorher, in Hamburg hieß das Sonnabend, suchte mein Vater alles Kleingeld zusammen, das er finden konnte. Ich sollte alle Automaten in der Umgebung aufsuchen, um Zigaretten zu holen, denn auch die würde es ja ab Montag nur noch auf Karten geben. Ich zog also los, aber ich konnte nur noch zwei Schachteln Overstolz-Zigaretten bekommen, für das andere Geld zog ich mir viele Lutschbonbons aus den Automaten. Mein Vater war dann „stinksauer“ und ich lief schnell weg, bevor er mir eine Ohrfeige gab.

Mein Vater war früher im kommunistischen Rotfrontkämpferbund.
Zum Glück trugen ihm die Nazis das nicht nach, vorläufig nicht!

In diesen Tagen trafen einige „Ehemalige“ bei uns ein. Im verschlossenen Wohnzimmer saßen sie und diskutierten. Ich lauschte an der Tür und hörte Empörungen, wie: „Nicht mit uns!“, „Das lassen wir nicht zu, von wegen Stalin und die Nazis!“

Aber die meisten Menschen waren gleichgültig, sie hatten Lohn und Brot, sowie diverse Vergnügungsangebote. Man konnte alles kaufen. Dass aber alles, durch Aufrüstung auf einen Krieg zusteuerte, wen kümmerte das schon!

Wir bekamen auch nicht mit, dass Truppen an den ostdeutschen Grenzen zusammengezogen wurden. Hitler wollte den Krieg, und er sagte zu seiner „Entourage“, er hätte nur Angst, dass in der letzten Minute noch irgendein Schweinehund mit einem Vermittlungsvorschlag daher käme.

Da wir alle Kommunisten waren, wollte auch ich in die Jugendgruppe, den „Roten Jungsturm“. Aber alle meine Klassenkameraden waren im Jungvolk der HJ. Einige trugen eine Uniform, und schließlich wollte ich das auch. Aber Vater ließ es nicht zu und sagte, in diese „Nazibande“ melde ich dich nicht an!

Um Mitglied zu werden, musste man 10 Jahre alt sein. Es war alles freiwillig, aber nach einiger Zeit wurde die Mitgliedschaft Pflicht.

Ende August bekam mein Vater ein amtliches Schreiben, worin stand, dass er mich zum Jungvolkdienst anmelden solle. Er fluchte zwar, aber am ersten September wollte er mich dann doch zu dem neuen HJ-Heim in der Nähe vom Hamburger Hasselbrook-Bahnhof zur Anmeldung bringen.

Er war geschieden, und meine Stiefmutter schwärmte für Hitler und die NSDAP. Sie hatte mir heimlich eine Uniform gekauft. Als wir danach zu Hause ankamen, sagte die Stiefmutter: „Kommt schnell rein! Gleich wird eine Führerrede im Radio noch einmal durchgegeben.“ Wir hörten dann: „In der letzten Zeit haben die Polen, auch mit dem regulären Militär, auf Deutsche geschossen. Seit fünf Uhr fünfundvierzig wird jetzt zurückgeschossen. Von jetzt ab wird Granate mit Granate und Bombe mit Bombe vergolten!“

Meine Stiefmutter sagte „Ja, mein Führer!“, aber mein Vater meinte wütend: „Das sagten wir doch immer, wer Hindenburg wählt, wählt Hitler, und wer Hitler wählt, wählt den Krieg!“

Ich aber freute mich und dachte, nun bin ich ein Jungvolk-Junge, und Krieg gibt es noch dazu, schade, dass ich noch so klein bin, ich wäre ja auch gern ein Soldat.

Ich wurde das später, aber das war dann nicht mehr lustig.

Autor: Gütner Lucks