Sch(w)ein gehabt (1949)

von Manfred Hüllen | Es geschah 1949, kurz vor dem Muttertag. Um meiner Mutter eine Freude zu bereiten, überlegte ich lange, was ich ihr wohl schenken könnte. Mein Großvater war Schneidermeister. Er arbeitete wie ein Designer und verkaufte seine Modelle in Düsseldorf an eine Firma auf der Königs-allee.

Zwei Tage vor dem Muttertag musste ich fünf neue Kostüme zu diesem Geschäft bringen. Auf meinem Weg dorthin kam ich immer an dem Haushaltsladen Feldmann vorbei. Hier gab es alles, was man im Haushalt braucht: Töpfe, Messer, Scheren, Zangen usw. Im Schaufenster sah ich eine echte Hausfrauenhilfe – eine Kartoffelschälmaschine. Man konnte sie an jedem Tisch befestigen; die ungeschälte Kartoffel war auf einen Spieß zu stecken, dann die Kurbel drehen, schon schälte ein kleines scharfes Messer sauber und exakt die Kartoffelschale ab. Der Preis: 18,50 DM – mein erspartes Geld reichte gerade.

Ich bezahlte an der Kasse mit einem 20 DM-Schein und erwartete 1,50 DM zurück. Die Kassiererin legte 31,50 DM in die Rückgeldschale. Völlig verdattert entnahm ich das Geld und wollte etwas sagen, wurde aber barsch aufgefordert: „Junge, nu mach mal Platz!“ Das machte ich dann auch mit dem Gedanken, du kannst es ja immer noch sagen. Draußen auf der gegenüberliegenden Straßenseite setzte ich mich erst mal auf eine kleine Mauer. Ich war fest überzeugt, die Polizei würde kommen, um mich als Dieb des Geldes zu bestrafen.

Wie lange ich dort gesessen habe, weiß ich nicht mehr. Meine Gedanken wurden immer fröhlicher; in meinem Kopf schwirrten lauter Dinge herum, was ich wohl mit dem Geld alles machen könnte. Irgendwann fuhr ich dann nach Hause in den Ratherkreuzweg.

Ein schlechtes Gewissen hatte ich „intervallmäßig“. Am nächsten Tag aber bot mir ein Freund ein echt schönes Fahrrad an, für 20 DM! Da war alles dran: Licht, Ledersattel, Gepäckträger, feine Lackierung, Handbremse und perfekte Rücktrittsbremse. Es gab kein langes Überlegen – ich kaufte es. Mein schlechtes Gewissen war zwar ab und zu immer noch da, aber es begann zu schwächeln.

Wie das Schicksal so spielt, musste ich noch am selben Tag abermals Kostüme zur Königsallee bringen.

Auf der Fahrt mit dem neuen Rad kam ich an eine Kreuzung (Düsseldorfer kennen diese sehr gut): Hier stand einst der ARAG-Tower. Ein Polizist regelte den Verkehr. Er gab mir ein Zeichen, so dass ich die Kreuzung passieren konnte. Ein entgegen kommender schwarzer Mercedes bog jedoch links ab. Nur durch eine Vollbremsung und indem ich mich seitlich fallen ließ, konnte ich einen direkten Aufprall auf das Auto verhindern – aber der Mercedes fuhr über mein Vorderrad. Zum Glück blieb es fahrtüchtig. Der Polizist kam herbei, hob mich auf fragte: „Hast du dich verletzt?“ Na ja … Bis auf Hautabschürfungen und eine Fleischwunde am linken Bein, die recht heftig blutete, war alles o.k.

Der Fahrer des Autos stieg nach Aufforderung des Polizisten aus und sagte: „Nun, es ist ja nichts passiert, dann kann ich ja weiterfahren.“ Jetzt wurde der Polizist so richtig ernst, um nicht zu sagen wütend. „Sie haben die Vorfahrt des Radfahrers missachtet; der Junge hat sich verletzt, Sie erhalten von mir eine Anzeige!”

Daraufhin entstieg dem Mercedes ein dunkel gekleideter Mann und sagte zu dem Polizisten: „Wie Sie sehen, handelt es sich um ein Diplomatenkennzeichen. Wir sind auf dem Weg in die Staatskanzlei, können wir das nicht gütlich regeln?“ Der Polizist entgegnete: „Da müssen Sie mit dem Jungen reden.“ Das machte er dann auch und fragte mich, ob ich mit einem Schmerzensgeld von 100 DM einverstanden sei.

Was für eine Frage – ich war es! Der Polizist sagte nur noch: „Aber eine Anzeige erhält ihr Fahrer in jedem Falle von mir!“

So hatte ich also eine arme Kassiererin um 30 DM gebracht, für 20 DM ein Fahrrad davon gekauft und von einem Autofahrer 100 DM Schmerzensgeld erhalten. So etwas nennt man wohl: Schwein gehabt. Stolz bin ich bestimmt nicht darauf, und ab und zu schäme ich mich immer noch… ein kleines bisschen.

Das Schönste war jedoch dann am Muttertag die Freude, die mein Geschenk, die Kartoffelschälmaschine, bei meiner Mutter auslöste. „Ach, was habe ich nur für einen lieben Jungen!“, sagte sie. Ich aber dachte nur: Wenn sie wüsste…

Autor: Manfred Hüllen