Mein Zeug – im Kohlenkeller! (1936-56)

von Claus Günther | Die Geschichte von meinem Zeug fängt ganz früh an. An einem Sonntag im Sommer, ich mochte wohl fünf Jahre alt gewesen sein, kam mein Freund auf die Idee, einen grasbewachsenen steilen kleinen Hang auf dem Hosenboden hinab zu rutschen. Oh ja! Das ging prima! Dumm war nur, dass ich bereits meine kurze weiße Sonntagshose trug und das Gras noch etwas feucht war vom Tau der Nacht. Die grünen Flecken gingen nie wieder raus.

Im Winter trug ich ein Leibchen mit angeknüpften langen braunen Strümpfen, und zwar bis in den Mai hinein, denn erst mussten „die drei gestrengen Herrn“ vorbei sein, die Eisheiligen. Am 11., 12. und 13. Mai konnte es noch Nachtfrost geben, und der Junge – also ich – bekam immer so leicht Halsweh. Die so genannte „Kalte Sophie“ hatte meine Mutter nicht auf der Rechnung, doch vor den Eisheiligen waren Kniestrümpfe tabu. Die doofen langen Strümpfe habe ich draußen, Halsweh hin, Halsweh her, spätestens ab April immer sofort heruntergerollt, wenngleich so ein brauner Rettungsring oberhalb der Schuhe auch nicht so toll aussah.

Da ich ein „Kleckerfritze“ war, musste ich beim Essen ewig lange ein Lätzchen umbinden, „Buschen“ genannt, und beim Spielen eine Schürze – auch zu Hause. Eines Tages vergaß ich sie abzubinden, ging damit in die Schule und zog ahnungslos meinen Wintermantel aus. Die ganze Klasse jubelte! Ich habe nie wieder eine Schürze umgebunden.

Ein beliebtes Attribut war eine braune Umhängetasche, „Wandertasche“ genannt. Meine Mutter fand sie praktisch, ich aber nicht. Kein Junge in meinem Alter trug so was mit sich herum. Nur ich!

Die lange Hose zu meiner Konfirmation war ein Muss. Wer eine lange Hose trug, ging als junger Mann durch und wurde möglicherweise mit „Sie“ angeredet.

Der taubstumme Schneider aber, der mir aus einem Anzugstoff, der im Keller in einem Koffer das Bombardement überstanden hatte, einen Anzug machen sollte, murmelte immer was von „knipp“. Er meinte offenbar knapp, denn für ihn war eine Weste zum Anzug obligatorisch, und dafür war der Stoff in der Tat zu knapp. Die Ärmel endeten fünf Zentimeter über dem Handgelenk, und die Hosen hatten Hochwasser wie bei einer Flutkatastrophe. Unmöglich! Daraufhin sollte ich mich mit kurzer Hose konfirmieren lassen. „Ist doch nicht so schlimm“, meinte meine Mutter. Wie bitte? Auf mein Statussymbol verzichten? „Dann werde ich eben nicht konfirmiert!“

Zum Glück fand sich eine lange Tennishose meines Onkels, und die wurde eben schwarz gefärbt.

Lange Hosen mussten eine Bügelfalte haben – messerscharf! Mein Vater gab mir den Rat, zum Anziehen auf einen Stuhl zu steigen, damit die Bügelfalte erhalten bleibt und nicht gleich verknickt.

In der Schwarzmarktzeit tauschte mein Vater Öl für eine khakifarbene lange Hose ein, die mir wie angegossen passte. Am Sonntagvormittag ging ich damit Milch holen und reihte mich in die Schlange der Wartenden ein. Ein Mann fragte, ob ich nicht wisse, dass mit Gefängnis bestraft werde, wer Zeug von Besatzungssoldaten trägt. Ich war entsetzt. Meine Mutter wusste Rat. Sie färbte die Hose, doch das ging schief: Die Hose lief ein und passte nicht mehr.

„Früher trugen die Leute im Büro noch Ärmelschoner.“ Wie furchtbar! Dafür trugen wir modernen Männer Ärmelhalter, Sockenhalter und Kragenstäbchen. Praktisch fand ich die Gummikrawatten, die man sich einfach über den Kopf streifte.

Doof hingegen fand ich immer schon die Pelzmäntel für Damen. Außerdem waren die schweineteuer. Es hat mich immer gereizt – bis heute!  – im Kaufhaus da mal irgendwo einen Kaugummi in eine Manteltasche zu stecken. Natürlich gebraucht! Aber die Pelzmäntel sind ja auch nicht mehr das, was sie früher mal waren.

Richtig modisch fand ich in den  50er Jahren den Nikki. Solch ein Pullover war mein Traum. Als ich in einer Jugendherberge ein Mädchen aus Bremen kennen gelernt hatte und Dojo – so hieß sie – besuchte, wollte ich sie groß ausführen. Leider wollte Dojo nichts mehr von mir wissen. Auch gut. Ich fuhr zurück nach Hamburg, kaufte mir einen roten Nikki und besuchte damit ein Konzert von Louis Armstrong in der Ernst-Merck-Halle. Die Karte kostete 5 D-Mark. Ganz schön teuer, oder?

Zu Hause – war ich unordentlich. Mein Zeug warf ich beim Ausziehen achtlos von mir. Ich hatte ja mein eigenes Zimmer! Doch meine Mutter wischte da Staub und drohte, ich würde eines Tages mein Zeug im Kohlenkeller wiederfinden. Das hat sie wahrgemacht! Es hat gewirkt. Nachhaltig.

Autor: Claus Günther