Mein „dänischer“ Großvater (1865-1945/46)

von Wilhelm Simonsohn | Meine wichtigsten Bezugspersonen im jungen Alter waren – abgesehen von meinen (Adoptiv-) Eltern – meine Großeltern mütterlicherseits und hier insbesondere mein 1864 geborener Großvater Ferdinand Brammann. Er wurde in eine Zeit hineingeboren, in der seine Geburtsstadt Altona noch Bestandteil des dänischen Staates war.

Die Oma war – zumindest geographisch gesehen – eine „richtige“ Dänin, da sie als eine geborene Lund in Hadersleben das Licht der Welt erblickte.

Der Opa war Inhaber einer Kunststeinfabrik in der Nähe der Siedlung Steenkamp, in der sich mein Elternhaus befand. Mit meinem Kinderfahrrad war es eine Sache von Minuten, Oma und Opa zu besuchen.

Dass ich sehr oft bei ihnen zu Gast war, hatte mehrere Gründe. Einmal waren die Großeltern ausgesprochen liebevolle Menschen, die mir einiges an Streichen nachsahen, die mir meine Eltern nicht so akzeptiert hätten. Zum anderen war der große Fabrik- und Lagerplatz für mich eine interessante „Spielwiese“.

Eines Tages jedoch platzte auch meinem Opa der Kragen. Ich war nämlich auf gegossene Zementstufen geklettert, die zwischen Brettern zum Trocknen gelagert waren. Ich hatte damit leider meine Fußabdrücke auf diesen Stufen hinterlassen, so dass sie wohl nicht mehr termingerecht ausgeliefert werden konnten. Dass Opa, sonst die Gutmütigkeit in Person, mir in diesem Zusammenhang eine Ohrfeige verabreicht hat, ist verständlich, wobei sein seelischer Schmerz wohl größer war als mein körperlicher.

Mein Opa hatte eine Augenprothese, da er in seiner Jugend durch einen Unfall ein Auge verloren hatte. Bei meiner Spielerei in der großen Villa auf diesem Gelände geriet ich eines Tages unversehens ins Schlafzimmer ohne zu wissen, dass mein Opa in dieser Zeit seinen Mittagsschlaf hielt. Was blickte mir jedoch entgegen? Nicht etwa mein wachgewordener Opa, sondern – losgelöst von ihm – ein einzelnes Auge, das mich aus einem mit einer Flüssigkeit gefüllten Glas anschaute. Schockiert von diesem Anblick schaltete ich ganz schnell den Rückwärtsgang ein.

Ein Privileg hatte ich noch: War „Bubi“ (so nannte mich damals meine Mutter) oder „Schietbüdel“, (so nannte mich meine Oma) – eine Übersetzung ins Hochdeutsche möge man mir ersparen –, anwesend, durfte nur ich den Speiseaufzug aus der im Souterrain liegenden großen Küche bedienen. Unsere „Köksch“ rief durch das ganze Haus nach „Bubi“, damit ich das Mittagessen von der Küche ins Esszimmer hieven konnte.

Natürlich hat sich dieser intensive Kontakt später gelockert, als ich mich als angehender Halbstarker segelnd auf der Elbe herumtrieb (Yachtschule Blankenese).

Opa war übrigens Freimaurer. Die intensiven Kontakte zu seinen Logenbrüdern führten dazu, dass einer seiner „Brüder“ (Baugeschäft) im Winter 1945/46 mit seinem technischen Sachverstand entscheidend dazu beitrug, dass unsere teilzerstörte Wohnung einigermaßen winterfest hergerichtet werden konnte.

In diesem Zusammenhang noch einmal ein „posthumes“ Dankeschön an meinen bereits 1943 verstorbenen Opa.

Autor: Dein „Schietbüdel“ Wilhelm Simonsohn