Im Bombenkrieg über Hamburg

von Norbert Dose | Ich wohnte als Einzelkind mit meiner Mutter im vierten Stockwerk eines Wohnhauses im Grenzbereich zwischen Ottensen und Bahrenfeld, also außerhalb des Kernbereichs der Bombenangriffe im Sommer 1943. Mein Vater, aus gesundheitlichen Gründen vom Wehrdienst freigestellt, war kaserniert dienstverpflichtet zum Einsatz in einer luftschutzpolizeilichen Unterorganisation der allgemeinen Polizei, nicht zu verwechseln mit dem berüchtigten SD, dem Sicherheits- und Hilfsdienst, zunächst als Sanitäter und während der Bombenangriffe als Hilfs-Feuerwehrmann an der Feuerwache 7 auf der Elbinsel Steinwerder stationiert.

Der 24 Juli 1943, ein warmer Sommertag, verlief zunächst, wie von der Bevölkerung seit Wochen gewohnt, ruhig und rief erst gegen Mitternacht, durch die auf Dächern der Großstadt angebrachten Alarmsirenen, die Einwohnerschaft in die Luftschutzräume. In unserem Haus bestand dieser Schutzbereich aus drei durch einen Gang miteinander verbundenen, mit Liegen und Schutzgelegenheiten versehenen Räumen.

Die anfängliche „geruhsame“ Stimmung, die die Bewohner vorerst mit belanglosen, alltäglichen Gesprächen, Skatspielen und wohl auch mit Schlafen oder „Dösen“ verbrachten, verwandelte sich jedoch überraschend schnell in einen alles übrige verdrängenden Eindruck, unter dem von außen in die Kellerräume vorrückenden Lärmkulisse aus FLAK-Feuer (Geschützfeuer der Flug-Abwehr-Kanonen), Dröhnen der anliegenden Flugzeugverbände und Bombenexplosionen.

Verstärkt wurde dieser bedrohliche Gesamteindruck durch das Verlöschen der zunächst duster leuchtenden Lampen, die vorübergehend etwas Licht in die Dunkelheit brachten.

Unter dem psychischen Druck dieser nur schwachen Helligkeit hatten sich die schutzsuchenden Bewohner von ihren Liegen und Sitzgelegenheiten erhoben, um im Notfall der Kellerenge zu entkommen.

Aber auch diese Phase ging vorüber. Allmählich trat Ruhe ein, und wenig später mit dem gleichmäßigen heulenden Sirenenton die Entwarnung und die Erlösung für die betreffenden Menschen. Alle strömten an die frische Luft und auf die Straße, wo die Feststellung getroffen werden konnte, dass in unserer Wohnstraße, abgesehen von zerbrochenen Fensterscheiben, keine weiteren Schäden entstanden waren. Schließlich begaben auch wir uns in unsere Wohnung.

In den folgenden Tagen bis zum Nachmittag des 27.07.1943 gelang es meiner Mutter nicht, telefonisch mit meinem Vater in Verbindung zu treten, zumal jeglicher ziviler fernmündliche Verkehr innerhalb Hamburgs abgeschnitten war. Meine Mutter entschloss sich daher, gemeinsam mit mir, einen Versuch zu unternehmen, meinen Vater in Steinwerder aufzusuchen. Es war uns auch in der vergangenen Zeit wiederholt gelungen, einen solchen Besuch mit Hilfe eines Fährdampfers der HADAG-Linie “Fähre VII“ durchzuführen.

Wir begaben uns also, da keine öffentlichen Verkehrsmittel zur Verfügung standen, zu Fuß von Ottensen durch zum Teil noch rauchende Straßentrümmer zu den St. Pauli Landungsbrücken, wo uns tatsächlich ein Fährdampfer auf die andere Elbseite mitnahm (wie wir später erfuhren, war es bis auf weiteres die letzte Verbindung).

Von der Anlegestation „Argen-tinienbrücke“ erreichten wir schnell die Feuerwehrwache 7 in Steinwerder und fanden dort meinen Vater übermüdet und angespannt, jedoch gesund und unverletzt vor.

Als wir sodann unsere Absicht äußerten, noch am selben Abend zu unserer Wohnung in Ottensen zurückzukehren. erklärte der Vorgesetzte meines Vaters, für unsere Absicht die Verantwortung nicht übernehmen zu können, weil kein Fährverkehr zum nördlichen Elbufer mehr zur Verfügung stehe und außerdem für die kommende Nacht seinen dienstlichen Informationen zufolge ein erneuter schwerer Bombenangriff zu erwarten sei. Zum Übernachten bot er uns sein Dienstzimmer mit einer Liege an. Dieses Angebot nahmen wir notgedrungen und dankbar an.

Gegen Mitternacht wurden wir durch allgemeine Alarmierung geweckt und in den Luftschutzkeller der Feuerwache geschickt.

Dort erlebten wir den angekündigten zweiten Großangriff auf Hamburg. Da wir uns mehr im Hafengebiet, einem der Zentren dieses Bombardements, aufhielten, war der auf uns wirkende Kriegslärm ungleich höher als am vorangegangenen Wochenende.

Durch eine in unmittelbarer Nähe der Feuerwache explodierende Luftmine wurden mehrere Feuerwehrleute die Kellertreppe hinabgeschleudert, ohne nennenswerten Schaden zu nehmen. Meine Mutter zitterte am ganzen Körper, und ich sah in Anbetracht meines Alters keine Möglichkeit, ihr zu helfen. Ein Kamerad meines Vaters, namens „Heinze“, beruhigte meine Mutter. Später hat mein Vater mir erzählt, dass dieser Kamerad in derselben Nacht seine gesamte Familie verloren hat.

Ich habe zwar immer behauptet, keine Angst gehabt zu haben, glaube aber in der heutigen Rückschau, mich selbst belogen zu haben. Auch dieser Großangriff ging vorüber, und der Revierführer meines Vaters empfahl uns, zu Fuß den etwa halbstündig entfernt gelegenen Elbtunneleingang einzuschlagen. Erstaunlicherweise war der Elbtunnel dem öffentlichen Verkehr zugänglich. So erreichten wir das nördliche Elbufer.

Meine Mutter begab sich sogleich auf ihre Arbeitsstelle bei der Bavaria Brauerei, während ich den Auftrag erhielt, den mir bekannten Fußweg zu meinen Großeltern in die Kieler Straße einzuschlagen. So konnte ich auf meinem Weg durch das noch qualmende Hamburg, den Grad der Verwüstung meiner Heimatstadt in etwa begreifen. Bei meinen Großeltern wartete ich auf meine Mutter.

Am Nachmittag des 28.07.1943 holte meine Mutter mich nach ihrem Arbeitsschluss bei meinen Großeltern ab. Da öffentliche Verkehrsmittel noch nicht wieder in Funktion waren, machten wir uns auf den etwa halbstündigen Fußmarsch über die Schlageterstraße (heute Stresemannstraße) zum Bahrenfelder Steindamm.

Schon beim Betreten des Treppenhauses fiel uns der starke Qualmgeruch auf; wir gelangten jedoch ohne Schwierigkeiten in das 4. Stockwerk zu unserer Wohnung. Zu unserem Schreck war unsere Wohnungstür, sofort erkennbar, aufgebrochen. Mit Beklemmung betraten wir unsere Wohnung durch die beschädigte Tür in Richtung des sich ständig verschärfenden Rauchgeruchs zur Küche. Wir bemerkten sofort, dass die von uns mit Löschsand gefüllte und vor der Küchentür gestellte Kiste verschwunden war, setzten unseren Weg in die Küche aber fort. Dort bot sich unserem Blick ein “wildes Chaos“.

In der Mitte der Küchendecke befand sich ein nicht völlig durchbrochenes, aber deutlich das Tageslicht durchschimmerndes Loch von 1 qm. Darunter lag auf einem Sandhaufen eine unschwer als solche erkennbare gelöschte Stabbrandbombe von etwa 70 cm Länge in sechseckigem Format; damit war das Verschwinden unserer Löschkiste erklärt! Die Fußbodenbohlen unter dem Sandhaufen waren schon vom Geruch her verbrannt. Im Übrigen waren die Küchenmöbel ersichtlich in Eile unter Zeitdruck an die Wände gedrückt.

Um nähere Auskünfte zu erhalten, meldeten wir uns sogleich bei unserem Nachbarn und bekamen zu hören, was in unserer Abwesenheit geschehen war: Nachbarn wussten, dass wir am Nachmittag des Vortages den Weg nach Steinwerder angetreten hatten, aber nicht zurückgekehrt waren. Als sie nach Beendigung des nächtlichen Bombenalarms in ihrer Wohnung eine brennende Brandbombe vorgefunden hatten, waren sie nach deren Ablöschen zu Kontrollzwecken in unsere Wohnung eingedrungen und hatten in unserer Küche ebenfalls eine brennende Bombe vorgefunden und diese mit Hilfe des bereitstehenden Löschsandes unschädlich gemacht.

Meine Mutter und ich sicherten darauf unsere Wohnung und begaben uns zunächst zu meinen Großeltern.

In der Folgezeit kamen wir zu dem Ergebnis, das unsere Wohnung trotz der Schäden bewohnbar war, und setzten unsere Lebensweise dort fort. Die Schäden in der Wohnung wurden nach und nach beseitigt. Das Wohnhaus steht heute noch!

Autor: Norbert Dose